Freitag, 30. März 2012

Offener Brief von 51 Tatort-Autoren



Liebe Grüne, liebe Pi­ra­ten, liebe Linke, liebe Netz­ge­mein­de!
Wir Un­ter­zeich­ner er­ken­nen an, dass Sie alle sich eines ve­ri­ta­blen Pro­blems an­neh­men wol­len, das die zwei gro­ßen, am In­ter­net hän­gen­den „Par­tei­en“ be­trifft: Die schlech­te Lage der Ur­he­ber, ihre un­an­ge­mes­se­ne Ver­gü­tung und die mil­lio­nen­fa­che il­le­ga­le Nut­zung von ur­he­ber­recht­lich ge­schütz­ten In­hal­ten auf der einen Seite, 600.000 Ab­mah­nun­gen von Usern und die Mög­lich­keit von Netz­sper­ren und (an­lass­lo­ser) Vor­rats­da­ten­spei­che­rung, die Sie gerne Zen­sur nen­nen, auf der an­de­ren Seite.
Wenn Sie die­ses tat­säch­li­che Di­lem­ma aber ernst­haft lösen (hel­fen) wol­len, ist es an der Zeit, sich von ein paar Le­bens­lü­gen zu ver­ab­schie­den.
Grüne Po­li­ti­ker un­ter­mau­ern das ak­tu­el­le Pro­blem üb­li­cher­wei­se durch die Ge­gen­über­s­tel-lung zwei­er Grund- und Men­schen­rech­te: Der Ar­ti­kel 27 der Men­schen­rech­te pos­tu­lie­re ei­ner­seits den Schutz des Ur­he­bers als Ei­gen­tü­mer sei­ner Schöp­fung, sei­ner Werke, an­de­rer­seits würde der freie Zu­gang zu Kunst und Kul­tur ga­ran­tiert. Diese dra­ma­ti­sche Ge­gen­über­stel­lung ent­hält aber gleich zwei Le­bens­lü­gen:
1. Die dem­ago­gi­sche Sug­ges­ti­on, es gäbe kei­nen frei­en Zu­gang zu Kunst und Kul­tur mehr – eine Be­haup­tung, die durch nichts be­wie­sen wird. Was auch schwer fal­len dürf­te: die Bun­des­re­pu­blik, die west­li­che Welt hat in über 100 Jah­ren ein de­fi­nier­tes, kla­res Sys­tem ver­schie­de­ner Nut­zungs­ar­ten und Zu­gän­ge her­aus­ge­bil­det.
2. Die dem­ago­gi­sche Gleich­set­zung von frei und kos­ten­frei. Die Men­schen­rech­te ga­ran­tie­ren in der Tat einen frei­en, aber doch kei­nen kos­ten­frei­en Zu­gang zu Kunst und Kul­tur. Diese po­li­ti­sche Ver­kür­zung von Grü­nen, Pi­ra­ten, Lin­ken und Netz­ge­mein­de dient le­dig­lich der Auf­wer­tung der User-In­ter­es­sen, deren Um­sonst­kul­tur so in den Rang eines Grund­rech­tes ge­hievt wer­den soll.
Wie über­haupt der ganze Dis­kurs über das Netz und seine User einen hohen Ton an­schlägt und damit die Ba­na­li­tät von Rechts­ver­stö­ßen ka­schiert oder gar zum Frei­heits­akt hoch­jazzt. Die Grund­rech­te der Ur­he­ber bzw. der von ihnen be­auf­trag­ten Rech­te­inha­ber aber wer­den da­ge­gen mar­gi­na­li­siert: Zum Bei­spiel das Grund­recht auf geis­ti­ges Ei­gen­tum. Die­ses Recht wird nicht nur fron­tal an­ge­grif­fen und in­fra­ge ge­stellt, neu­er­dings schi­cken ge­ra­de die Grü-nen gerne von Goog­le ali­men­tier­te In­itia­ti­ven wie col­la­bo­ra­to­ry, Alex­an­der-von-Hum­boldt-In­sti­tut oder auch das (vor­ma­li­ge) Max-Plank-In­sti­tut für geis­ti­ges Ei­gen­tum vor, die an­geb­lich völ­lig au­to­nom und un­ab­hän­gig eine neue Rechts­grund­la­ge su­chen wür­den – im so­ge­nann­ten Im­ma­te­ri­al­gü­ter-Recht.
Fakt ist, dass die Ur­he­ber­rech­te in der Bun­des­re­pu­blik nicht nur durch die Ver­fas­sung, son­dern auch durch zahl­lo­se, völ­ker­recht­lich ver­bind­li­che Ver­trä­ge auch in­ner­halb der EU ul­ti­ma­tiv ver­brieft sind. Dass die­ses Grund­recht ak­tu­ell zur po­li­ti­schen Dis­po­si­ti­on stün­de, ge­hört zu den lie­be­voll ge­heg­ten Le­bens­lü­gen der Netz­ge­mein­de.
Und noch eine Le­bens­lü­ge, die al­ler­dings ty­pisch ge­wor­den ist für die Ber­li­ner Re­pu­blik: der Aus­weg in die Sym­bol­po­li­tik. Das Bei­spiel hier­für sind hier die Schutz­fris­ten, mit denen die Ur­he­ber bzw. ihre Nach­fah­ren von dem ei­ge­nen Werk pro­fi­tie­ren kön­nen. Zur Zeit sind das 70 Jahre post mor­tem, die Netz­ge­mein­de for­dert ra­di­ka­le Ver­kür­zun­gen, gern auch mal „Mo­der­ni­sie­rung“ ge­nannt. Dabei rei­chen die For­de­run­gen von „gar keine Schutz­frist“, einer 5-Jah­res­frist nach Ver­öf­fent­li­chung des Wer­kes, die letz­te For­de­rung der Grü­nen lau­tet: „So­lan­ge der Ur­he­ber lebt“, an­de­re Netzin­itia­ti­ven nen­nen 20 Jahre post mor­tem.
Mal ganz ab­ge­se­hen von der Tat­sa­che, dass nir­gend­wo eine Ar­gu­men­ta­ti­on ver­sucht wird, warum ge­ra­de diese Ei­gen­tums­form über­haupt eine Ein­schrän­kung er­fah­ren darf, ist die­ser Vor­schlag zur Lö­sung des o.g. Di­lem­mas völ­lig un­ge­eig­net. Nicht nur, dass die Ur­he­ber durch diese Schutz­fris­ten-Ver­kür­zung ent­eig­net und damit dra­ma­tisch schlech­ter ge­stellt wür­den, nein, die­ser Vor­schlag än­dert auch kein biss­chen an den In­ter­es­sen der ver­meint­lich un­schul­di­gen User: Ihre il­le­ga­len Down­loads oder Strea­m­ings be­tref­fen in der Masse nur die al­ler­al­ler­neu­es­ten Filme, Mu­si­ken, Bü­cher, Fotos und De­signs – und nicht etwa Werke, die 20, 40 oder 60 Jahre alt sind. Eine Ver­kür­zung der Schutz­fris­ten würde an die­sem Pro­blem also nichts än­dern, wäre reine Sym­bol­po­li­tik: Schaut her, wir haben den Ur­he­bern auch was weg­ge­nom­men...
Die ver­mut­lich gra­vie­rends­te Le­bens­lü­ge der selbst­er­nann­ten Pro­blem­lö­ser zum Schluss: Wenn man Ur­he­ber und User bes­ser stel­len will, braucht es ja einen, der die­sen Al­le-ha­ben-al­le-wie­der-lieb-Kom­pro­miss, der den Kram be­zahlt – denn wie in allem, was her­ge­stellt wird, steckt auch im „Con­tent“ ver­dammt viel Ar­beit von Ur­he­bern und kos­tet des­halb auch Geld, das ir­gend je­mand be­zah­len muss. Die­sen om­ni­po­ten­ten Zah­ler kennt die Netz­ge-mein­de auch schon ganz genau: Nein, nicht Goog­le, youtube und die an­de­ren In­ter­net­ser­vice­pro­vi­der, die sich dumm und däm­lich daran ver­die­nen, il­le­ga­le Kon­tak­te zu ver­mit­teln, den kri­mi­nel­len Mo­del­len wie kino.​to, me­gau­pload, the Pi­ra­te Bay etc. über­haupt zum Er­folg zu ver­hel­fen. Nein, für die Grü­nen, Pi­ra­ten und Netz­po­li­ti­ker aller Par­tei­en ist der große Übel­tä­ter die Ver­wer­tungs­in­dus­trie: Sony, Uni­ver­sal, Ber­tels­mann und, ganz wich­tig, na­tür­lich die GEMA und die an­de­ren Ver­wer­tungs­ge­sell­schaf­ten. Das sind in ihren Augen die Blut­sau­ger, die sol­len die Zeche zah­len.
Mal davon ab­ge­se­hen, dass die selbst­er­nann­ten Di­gi­tal Na­ti­ves (auch) über die­sen Punkt nie di­rekt mit den be­trof­fe­nen Ur­he­bern ge­spro­chen haben, sie haben über­haupt nicht ver­ste­hen oder be­grei­fen wol­len, dass bis auf Maler und Bil­den­de Künst­ler diese Tren­nung in Ur-he­ber und „böse“ Ver­wer­ter über­haupt kei­nen Sinn macht, ja un­mög­lich ist: Filme, Mu­sik­pro­duk­tio­nen, web- und Wer­be­kam­pa­gnen, Ar­chi­tek­tur- und De­sign­pro­duk­te wer­den über­haupt erst rea­li­siert, wenn die künst­le­ri­schen Ideen der Ur­he­ber mit Ka­pi­tal und Ver­mark­tungs­know­how zu­sam­men­kom­men.
Wenn die Grü­nen, Pi­ra­ten, die Netz­po­li­ti­ker aller Par­tei­en es mit den Ur­he­bern also wirk­lich ernst mei­nen, dann soll­ten sie zu­nächst mal mit ihren ei­ge­nen Kul­tur­po­li­ti­kern spre­chen: Die kön­nen ihnen den Zu­sam­men­hang von Kunst/Kul­tur und ma­te­ri­el­ler Ab­si­che­rung si­cher er­läu­tern, ihnen klar ma­chen, dass die nach­hal­ti­ge Pro­duk­ti­on qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ger Kunst und Kul­tur nicht ama­teur­haft, also wie Wi­ki­pe­dia or­ga­ni­siert wer­den kann. Im­mer­hin leben hun­dert­tau­sen­de Men­schen von krea­ti­ver Ar­beit und hel­fen mit ihren (kon­kur­renz­fä­hi­gen) Wer­ken, die ide­el­le und ma­te­ri­el­le Zu­kunft einer post­in­dus­tri­el­len Bun­des­re­pu­blik auch in­ter­na­tio­nal zu si­chern.
Wenn man die Lage der Ur­he­ber nach­hal­tig ver­bes­sern will, dann müss­ten also alle po­li­ti-schen Kräf­te den Ur­he­bern bzw. ihren Ver­bän­den hel­fen, das Ur­he­ber­ver­trags­recht zu ver­bes­sern, die Ver­hand­lungs­po­si­tio­nen der Ur­he­ber ge­gen­über den Ver­wer­tern zu stär­ken: Mit Hilfe ver­bind­li­cher Re­ge­lun­gen zu den Ge­mein­sa­men Ver­gü­tungs­re­geln (GVR) oder mit einem Ver­bands­kla­ge­recht, oder, oder...
Vor allen Din­gen soll­ten die Netz­po­li­ti­ker aller Par­tei­en die Fin­ger von den Schutz­fris­ten las­sen, und bitte nicht jede Miss­brauchs­kon­trol­le bei Pro­vi­dern und Usern gleich als den de­fi­ni­ti­ven Un­ter­gang des Abend­lan­des an­pran­gern: Bei der Suche nach Schwarz­fah­rern und Steu­er­hin­ter­zie­hern zum Bei­spiel, müs­sen sich die Bür­ger auch ei­ni­ge Ein­schrän­kun­gen ihrer Rech­te ge­fal­len las­sen.
Für kon­struk­ti­ve Ge­sprä­che über den an­ste­hen­den his­to­ri­schen Kom­pro­miss zwi­schen Ur­he­bern und Usern ste­hen wir je­der­zeit be­reit.
Mit freund­li­chen Grü­ßen
Urs Aeber­sold
Feo Ala­dag
Mi­guel Alex­and­re
Fried­rich Ani
Knut Boe­ser
Kat­rin Büh­lig
Fred Brei­ners­dor­fer
Leo­nie-Clai­re Brei­ners­dor­fer
Ste­fan Cantz + Jan Hin­ter
Orkun Er­te­ner
Chris­toph Fromm
Klaus Gie­tin­ger
Axel Götz
Dinah Marte Golch
Jo­chen Greve
Harry Gö­cke­ritz
Mi­cha­el Gut­mann
Peter Hem­mer
Peter Hen­ning
Felix Huby
Ste­fa­nie Krem­ser
Wolf­gang Lim­mer
Petra Lü­schow
Da­nie­la Mohr
Mar­ti­na Mouchot
Cle­mens Mu­rath
Ca­ro­lin Otto
Hen­ri­et­te Piper
Clau­dia Priet­zel
Peter Probst
Ger­hard J. Rekel
Pim G. Rich­ter
Jo­han­nes Rot­ter
Heike Rüb­bert
Peter Schei­bler
Hart­mann Schmi­ge
Hol­ger Kars­ten Schmidt
Si­mo­ne Schnei­der
Su­san­ne Schnei­der
Do­ro­thee Schön
Tho­mas Schwank
Xaõ Seff­che­que
Mar­kus Stromie­del
Uwe Wil­helm
Mi­cha­el Wogh
Da­ni­el Wolf
Ger­lin­de Wolf
Eva Zahn
Vol­ker A. Zahn
Peter Zing­ler
29. März 2012
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VDD
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